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Christian Stöcker

Digitalisierung Was Schüler von ihren Lehrern über Facebook lernen können

Die Digitalisierung trägt dazu bei, dass der gesellschaftliche Grundkonsens ins Rutschen gerät. Das hat mehrere Ursachen, denen man nur mit Bildung begegnen kann. Drei Vorschläge.
Schüler mit Tablet (Archivbild)

Schüler mit Tablet (Archivbild)

Foto: Carmen Jaspersen/ dpa

Deutschland reagiert auf die größte Umwälzung unserer Zeit - nein, nicht Trump - bislang so, wie wir Deutschen das eben machen: Erst kulturpessimistisch herumjammern, dann von den business opportunities für den deutschen Mittelstand schwärmen, dann die furchtbaren Gefahren entdecken, die in all dem schlummern, dann erschüttert feststellen, dass die Jugend von heute diesmal aber wirklich bescheuert ist, dann von den business opportunities schwärmen, die in all den Gefahren schlummern und dann die bescheuerte Jugend anflehen, einem dieses Snapchat doch bitte mal verständlich zu machen. Und so weiter.

Der bundesdeutsche Jammerzyklus hat einen gewaltigen Nachteil: Er ist sehr langsam. Die Digitalisierung aber ist schnell. Ohne jeden Alarmismus kann man sagen: Wenn wir nicht sehr zügig handeln, wird eine ganze Generation auf der Strecke bleiben, weil unser Bildungssystem zu träge ist.

Drei Vorschläge für Dinge, die idealerweise ab der Grundschule, aber spätestens in ausnahmslos allen weiterführenden Schulen gelehrt werden müssten:

1. Nicht jeder ist Journalist. Aber (fast) jeder publiziert jetzt wie ein Journalist. Dafür gibt es Regeln.

In der Kommunikationswissenschaft gibt es eine alte, fundamentale Einteilung: Es gibt private Kommunikation und öffentliche Kommunikation. Ersteres machen der traditionellen Sichtweise zufolge wir alle miteinander, letzteres Medien, Politiker, PR-Abteilungen und so weiter. Diese Unterscheidung stimmt in der digitalen Gegenwart kaum noch. Wer 15 Instagram-Follower hat, kommuniziert vielleicht noch privat und nur potenziell öffentlich. Wer 15.000 Follower hat, publiziert. Haftbar für ihre potenziell globalen Publikationen sind aber beide.

Schon und gerade Schüler müssen deshalb etwa lernen, was "Recht am eigenen Bild" bedeutet. Es ist zum Beispiel aus guten Gründen verboten, jemanden einem potenziell globalen Publikum gegen seinen Willen als volltrunkenen Volldeppen vorzuführen. Das muss man Schülern beibringen, auch wenn es bislang Medienrecht und damit ein Thema für Spezialisten war.

Das Gleiche gilt für strafbewehrte Äußerungen - man erinnere sich an die Geschichte vom Porsche-Lehrling und den Flammenwerfern. Bei Facebook wird derzeit so viel Justiziables publiziert, dass unsere Strafverfolgungsbehörden längst nicht mehr nachkommen.

Das liegt auch daran, dass viele Volksverhetzer, Gewaltandroher und Holocaust-Leugner offenbar noch nicht verstanden haben, dass ein Facebook-Post nicht das Gleiche ist wie eine Äußerung am Stammtisch, und damit viel gefährlicher. Hätten diesen Unterschied alle in der Schule gelernt, wäre das Hatespeech-Problem vermutlich kleiner. Das zugrundeliegende Rassismus-Problem nicht, aber das ist ein anderes Thema.

2. Im Internet steht jede Menge Quatsch. Dagegen gibt es ein Mittel.

Quellenprüfung war bislang ein Thema für Wissenschaftler und, schon wieder, Journalisten. Vor zehn Jahren war es sehr unwahrscheinlich, dass ein Durchschnittsmedienkonsument mit von jungen Mazedoniern erfundenen Lügengeschichten  zum US-Wahlkampf konfrontiert wird. Heute ist so etwas ziemlich wahrscheinlich. Zumal sich die Belege mehren, dass Russland viel Geld und Aufwand investiert, um mit Hilfe solcher Lügenpropaganda westliche Demokratien zu schwächen .

Der Erfolg der Lüge im sozialen Netz hat zwei Ursachen: Die Freiheit des Lügners ist nahezu unbegrenzt, deswegen sind seine Geschichten oft interessanter, emotionaler, origineller als die der langweiligen Die-Wahrheit-Sager. Und: Der Lügner kann seine Geschichten an die Interessen seiner Zielgruppe anpassen. Beides ist Social-Media-Gold.

Das bedeutet: Heute muss sich jeder Medienkonsument Fragen stellen, die bislang in der Regel nur Wissenschaftler und Journalisten beschäftigten: Wer spricht da und mit welcher Motivation, mit welchen Belegen? Gibt es eine zweite, unabhängige Quelle? Das muss die Schule vermitteln, denn wer könnte es sonst? Und zwar sehr schnell, denn Online-Propaganda kann im Zeitalter der sozialen Medien womöglich Wahlergebnisse beeinflussen - ja, hat es womöglich bereits getan .

3. Software regiert die Welt. Wer nicht versteht, wie Software funktioniert, versteht die Welt nicht mehr.

Als ich zur Schule ging, wurde uns im Physikunterricht beigebracht, wie ein Ottomotor funktioniert. Ein Auto reparieren konnten wir deshalb nicht, aber wir hatten zumindest eine grundlegende Vorstellung davon, was die ganze Mobilität da draußen antreibt. Und, später dann, woher das ganze CO2 kommt. Ottomotoren sind heute immer noch wichtig.

Noch wichtiger aber sind die unsichtbaren Maschinen, die unseren Alltag umkrempeln, vom Innenleben unserer Smartphones bis hin zu der Frage, wie Facebooks Algorithmus Relevanz definiert. Kenntnisse über die Grundprinzipien von Programmierung, über das Wesen und die möglichen Wirkungen von Algorithmen und, künftig, von lernender Software, müssen deshalb schleunigst zum Teil der Allgemeinbildung werden.

Digitale Technologie hat längst begonnen, nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern die Gesellschaft selbst zu verändern. Nur wer sie im Grundsatz versteht, kann auch diese Veränderungen verstehen - und mitgestalten.

Um diese drei Themen im Unterricht zu behandeln, braucht man übrigens gar nicht unbedingt neue Hardware, auch wenn der entsprechende Vorstoß von Bildungsministerin Johanna Wanka zu begrüßen ist. Was wir vor allem brauchen, ist Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer. Denn auch deren Ausbildung hat überwiegend in einem anderen, vergangenen Zeitalter stattgefunden.

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